05.05.2025
Foto: USHMM
Im Rahmen des jährlichen "Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus" wurde heuer insbesondere der Opfer der NS-Aktion "T4" gedacht. Nach einer Lesung aus Opferbiographien fand eine Podiumsdiskussion statt, die den bis heute schwierigen Umgang mit dem Schicksal von Menschen mit Behinderung während des NS-Regimes thematisiert.
Die musikalische Untermalung der Gedenkveranstaltung übernahmen das Institut Hartheim und die Landesmusikschule Oberösterreich.
Schauspielerin Kristina Sprenger las aus Opferbiografien, die unter dem Titel "Lebensspuren" 2013 von Florian Schwanninger und Irene-Zauner Leitner in einem biografische Lesebuch gesammelt wurden und stellvertretend für alle in der NS-Euthanasieanstalt Hartheim ermordeten Menschen stehen. Diese Biographien lassen sich oft nur bruchstückhaft aus den spärlichen Zeugnissen und Erinnerungen, die in ihren Herkunftsfamilien bewahrt wurden, rekonstruieren. So war Helene Adler seit Ende der 1920er Jahre wegen diagnostizierter Schizophrenie Patientin der Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof". Im November 1940 wurde sie in Schloss Hartheim ermordet. Vera Pour wurde mit der Diagnose "Jugendschizophrenie" in der psychiatrischen Klinik Graz-Feldhof aufgenommen. Sie wurde an einem nicht genau feststellbaren Tag im Februar 1941 nach Hartheim deportiert. Alexander Amman war nach einer Reihe von Nervenzusammenbrüchen in der Heil- und Pflegeanstalt Valduna bei Rankweil untergebracht, bevor er im März 1941 in die Landesanstalt Hartheim "verlegt" wurde.
Podiumsdiskussion zur Bewahrung der Erinnerung an Hartheim
Eine Podiumsdiskussion thematisierte den bis heute schwierigen Umgang mit einem besonders erschütternden Kapitel der nationalsozialistischen Verbrechen, mit der systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderung und psychisch Kranken. Es werfe die schwierige Frage auf, wozu Menschen gegenüber anderen Menschen fähig sind, sagte Moderatorin Nadja Bernhard.
Der Historiker Florian Schwanninger ist seit 2014 Leiter des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim, wo er die Opferdatenbank in Hartheim aufbaute. Das nationalsozialistische System habe mit Zwangssterilisationen begonnen und seine eugenischen und rassenhygienischen Ideen mit einer Radikalität umgesetzt, wie kein anderes Regime, führte Schwanninger aus. Opfer seien in erster Linie Menschen geworden, die als mit "Erbkrankheiten" belastet galten, aber auch viele, die aus irgendeinem anderen Grund aus dem gesellschaftlichen Rahmen fielen. Die Ermordung von Menschen mit Behinderungen habe mit Säuglingen und Kindern begonnen und sei auf die Bewohner:innen von Heil- und Pflegeanstalten ausgedehnt worden.
Marianne Schulze ist die Urenkelin von Adolf Böhm, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde. Nachdem er von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann unter massiven Druck gesetzt wurde, eine Liste mit prominenten Jüdinnen und Juden zu erstellen, dürfte er einen Nervenzusammenbruch erlitten haben. Er wurde mit der Diagnose "geistige Umnachtung" nach Hartheim deportiert und dort ermordet. Schulze berichtete, dass Böhm Verfasser eines Standardwerks über die zionistische Bewegung war, was vermutlich die Aufmerksamkeit von Eichmann auf ihn lenkte. Erst in den 1990er-Jahren konnten irrige Angaben über seine Lebensgeschichte berichtigt werden. Schulze sagte, das Bewusstsein über psychische Belastungen und Notlagen sei erst langsam gewachsen. Hier sei noch vieles zu tun, damit Menschen mit Behinderungen voll in die Gesellschaft integriert werden können. Auch in der Gesetzgebung seien dazu noch "große Felsbrocken, nicht nur Kieselsteine" zu verschieben.
Johann Andre ist der Sohn von Josef Andre, der sich bei einem schweren Fahrradunfall eine massive Gehirnerschütterung zuzog, von der er sich nicht mehr erholte. Nach mehreren Aufenthalten in der Nervenklinik Gugging wurde er letztlich nach Hartheim gebracht und dort ermordet. Die Familie sei über ein Schreiben aus Gugging informiert worden, dass er in Hartheim an einer "Lungenentzündung" verstorben sei. Über die tatsächlichen Umstände sei die Familie nur informell und mündlich von regimekritischen Personen informiert worden, berichtete Andre.
Welche Bedeutung der Ort für die vielen Nachfahren der Opfer hat, zeige auch das Beispiel von Lucia Bellolo, sagte Moderatorin Bernhard. Ihr Vater wurde nach Aufenthalten in Gugging nach Hartheim gebracht und dort ermordet. In einer kurzen Videoeinspielung sprach Bellolo über die Bedeutung von Hartheim als persönlichen Erinnerungsort.
Wolfgang Schuhmann ist der Sohn von Karl Schuhmann. Sein Vater hatte direkt neben dem Schloss Hartheim gewohnt und wurde Widerstandskämpfer. Karl Schuhmann habe von Kindheit ein gutes Verhältnis zu den Bewohner:innen des Schlosses gehabt. Aufgrund der Nähe habe man die Vorgänge des Umbaus des Schlosses zur Mordanstalt direkt mitverfolgen können. Auch das Eintreffen von Bussen und das wenige Stunden später folgende Aufsteigen von dichtem schwarzen Rauch sei unübersehbar gewesen. Ein Foto, das Karl Schuhmann davon angefertigt habe, sei eines der wenigen Bilddokumente des Geschehens. Karls älterer Bruder Ignaz sei wegen der Teilnahme an einer Widerstandsgruppe zum Tode verurteilt worden, er selbst zu einer Gefängnisstrafe. Er habe lange nicht über die Ereignisse gesprochen, aber in den letzten Lebensjahren zur Aufarbeitung der Geschichte des Ortes beigetragen. Die Rehabilitierung der vier Mitglieder seiner Widerstandsgruppe habe er leider nicht mehr erlebt.
Bewahrung der Erinnerung als bleibende Aufgabe
Nachdem es immer weniger Zeitzeugen gebe, die über das Geschehene berichten können, würden auch archäologische Funde an Bedeutung gewinnen, berichtete Schwanninger. In den Jahren 2001 und 2002 seien bei Grabungen Baureste der Tötungsanlagen, aber auch viele verscharrte Objekte von Opfern gefunden worden. Später habe man auch menschliche Überreste in Aschengruben festgestellt. Die Fundstücke seien oft kleine Gegenstände, die die Menschen noch mit sich nehmen konnten, als man ihnen erzählte, dass sie in ein anderes, "besseres" Heim verlegt würden. Viele der Objekte hätten zweifellos einst sehr persönlichen Erinnerungswert für ihre Besitzer:innen gehabt. Nur wenige ließen sich heute einer bestimmten Person zuordnen.
Mit einer Ausstellung über den Umgang mit Menschen mit Behinderung versuche die Gedenkstätte Schloss Hartheim auch, einen Bogen in die Gegenwart zu spannen, führte Schwanninger aus. Die Frage, wie mit Menschen umgegangen werde, die gesellschaftliche Normen und Erwartungen nicht erfüllen, bleibe aktuell. Die Gedenkstätte widme sich daher auch Themen nach 1945, Fragen der medizinischen Ethik, der Sozialpolitik und des Umgangs mit Menschen mit Behinderung. Diese Auseinandersetzung sei kein Selbstzweck, sondern auch wichtig für die Gegenwart.
Was die Qualität der aktuellen Erinnerungskultur betreffe, so wolle sie trotz aller Probleme nicht von einem "Scheitern" sprechen, sagte Schulze. Dass es möglich sei, in einem geschützten Rahmen gedenken zu können und einen Erinnerungsort zu haben, wertete sie aus Sicht der Nachfahren der Opfer als wichtigen Schritt. Zweifellos bleibe noch viel zu tun, um der Aussage "Nie wieder!" Bedeutung zu geben. Das bedeute auch, das Bewusstsein für die Errungenschaft der Demokratie immer konsequent gegen Gewalt und gegen die Entwertung anderer Menschen aufzutreten. Die Erinnerung an die Vergangenheit sei in Österreich oft sehr parteipolitisch geprägt, und es gebe oft wenig Gemeinsames, meinte Schulze. Sie würde sich wünschen, dass man zu einem viel faktischeren Umgang mit der Vergangenheit finde.
Schuhmann sagte, aus Sicht seiner Erfahrung in der Bildungsarbeit sehe er die vordringliche Aufgabe der Erinnerungskultur in der Information der Jugend. Er würde sich wünschen, dass es "mehr Widerstandskämpfer gegen das Vergessen, gegen die Verharmlosung und gegen die Uminterpretation von belasteten Begriffen" gebe. Das gelte es, den Jugendlichen mitzugeben. Damals wie heute sei das genaue Hinschauen und Hinhören wichtig, um die kritische Urteilskraft zu stärken.
Eder-Gitschthaler: Das Wissen um die Schrecken der Vergangenheit muss an die Jugend weitergegeben werden
Schloss Hartheim erinnere uns eindringlich daran, wohin Ausgrenzung, Menschenverachtung und Entmenschlichung führen können und wie dünn die Schicht der Zivilisation sei, wenn Menschenwürde und Mitmenschlichkeit verloren gingen, betonte Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler in ihren Abschlussworten. Auch wenn die Stimmen der Überlebenden immer leiser werden, dürfen die Erinnerungen nicht verstummen, mahnte sie. Gerade junge Menschen müssten Zugang dazu haben, denn es sei ihre Zukunft, die auf dem Fundament der Geschichte gebaut werde.
Das österreichische Parlament bekenne sich nicht nur symbolisch zur Inklusion und den Menschenrechten, betonte Eder-Gitschthaler. Das barrierefreie Parlamentsgebäude sei Ausdruck davon, dass Demokratie alle brauche, und zwar wirklich alle. Doch Demokratie sei mehr als Gebäude und Gesetze. Es sei unsere Pflicht, so die Bunderatspräsidentin, das Wissen um die Schrecken der Vergangenheit an die Jugend weiterzugeben. Es sollte vermittelt werden, dass Konflikte friedlich gelöst, Unterschiede respektiert und die Würde jedes Menschen geachtet werden müssen. Da der Umgang miteinander das Bild des Zusammenlebens für kommende Generationen präge, "müssen wir unsere Worte und Taten von Respekt, Empathie und Verantwortung leiten" lassen. Möge das heutige gemeinsame Erinnern ein Versprechen sein: "Dass wir die Würde jedes einzelnen Menschen achten, dass wir wachsam bleiben gegenüber jeder Form von Ausgrenzung, und dass wir für den Frieden arbeiten - nicht nur in großen Worten, sondern im Kleinen, im täglichen Miteinander".
Text/Quelle: Pressedienst der Parlamentsdirektion