Ausgabe Juni 2024

29.05.2024

Debatte über Zukunft der EU ging in die Verlängerung

Foto: dbn

Debatte über Zukunft der EU ging in die Verlängerung

Nicht nur auf Wahlplakaten, auch im Nationalrat und bei vielen anderen Gelegenheiten hat die FPÖ bereits dazu aufgerufen, "den EU-Wahnsinn zu stoppen". Heute hat sie diese Forderung in Form einer Dringlichen Anfrage an Bundeskanzler Karl Nehammer auch in den Bundesrat getragen. Es sei in vielen Politikbereichen notwendig, eine Kurskorrektur vorzunehmen, waren sich der Tiroler Bundesrat Christoph Steiner und seine Fraktionskolleg:innen einig. Unter anderem sind die Migrationspolitik der EU, die Russlandsanktionen und der "Green Deal" der FPÖ ein Dorn im Auge. Zudem übte sie neuerlich scharfe Kritik am "EU-Coronaregime".

Beantwortet wurde die Dringliche Anfrage durch Staatssekretärin Claudia Plakolm, die den Bundeskanzler vertrat. Die EU sei nicht perfekt, räumte sie ein, anstatt diese zu zerstören, solle man aber daran arbeiten, Europa besser zu machen. Zudem wies sie auf die vielen Vorteile der EU-Mitgliedschaft Österreichs hin. Skeptisch äußerte sich Plakolm zum auf EU-Ebene vereinbarten "Verbrennerverbot": Reine E-Mobilität könnte ihrer Meinung nach in eine Sackgasse führen. Die anschließende Debatte verlief - wie schon die Aktuelle Stunde zur Zukunft der EU am Vormittag - zum Teil sehr hitzig, wobei die gegenseitigen verbalen Angriffe mit zunehmender Diskussionsdauer stiegen.

Keine Mehrheit gab es für zwei Entschließungsanträge der SPÖ bzw. der FPÖ. Beide Parteien hatten die Regierung - in getrennten Initiativen - aufgefordert, keine Schritte in Richtung eines Beitritts zur NATO zu setzen, sich klar zur Österreichischen Neutralität zu bekennen und eine aktive Neutralitätspolitik auf EU- und internationaler Ebene zu betreiben.

Steiner: FPÖ steht "glasklar an der Seite des Volkes"

Eingeleitet wurde die Debatte von FPÖ-Bundesrat Steiner mit der Klage, dass im EU-Wahlkampf nicht über Inhalte diskutiert werde. Vielmehr werde dieser von Hetze und "Schmutzkübelkampagnen" dominiert. "Alle gegen uns", sei offenbar die Devise, meinte er. Steiner mutmaßt, dass "die Systemparteien" damit vor unerfreulichen Entwicklungen ablenken wollten. Die einzigen, "die glasklar an der Seite des Volkes stehen", sind für ihn die Freiheitlichen.

Die Europäische Union habe sich bereits vor vielen Jahren weit von ihren ursprünglichen Zielen entfernt, machte Steiner geltend. Stattdessen habe sie sich zu einem "Bürokratiemonster" entwickelt, in der "irgendwelche anonymen Beamten" über die Mitgliedstaaten bestimmen. Für ihn sind die FPÖ und ihre europäischen Partnerparteien der Garant dafür, Kompetenzen von der EU wieder in die Nationalstaaten zurückholen.

Auch an der Migrationspolitik der EU und am "Green Deal" ließ Steiner kein gutes Haar. Er warf der EU vor, "unkontrollierter und illegaler Massenzuwanderung" nichts entgegenzusetzen. Nahezu alle Teile des vor kurzem beschlossenen EU-Migrationspakts würden vielmehr darauf abzielen, Migration zu fördern und zu verfestigen, ist er überzeugt. Durch den "Green Deal" sieht er nicht nur die Industrie, sondern auch zigtausende Arbeitsplätze und die kleinstrukturierte Landwirtschaft gefährdet. Auch der wichtigste Wirtschaftszweig Deutschlands, die Autoindustrie, werde von EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen "vernichtet". Die FPÖ stehe demgegenüber auf der Seite der Landwirt:innen.

Um Energie für die Haushalte und die Wirtschaft wieder leistbar zu machen, müsse der Green Deal gestoppt werden, fordert die FPÖ. Auch die Russlandsanktionen schaden ihrer Ansicht nach nur der EU und Österreich selbst. Davon würden "die historische Inflation" im Land und "lawinenartige Firmenpleiten" zeugen. Von der Leyen mache die EU zudem zu einer Kriegspartei, glaubt Steiner.

An die österreichische Regierung appellierte Steiner, die Neutralität Österreichs "augenblicklich wieder herzustellen". Statt "die Kriegspartei Ukraine" mit Beträgen in Milliardenhöhe zu unterstützen, brauche es Friedensinitiativen. In Bezug auf das "EU-Coronaregime" kritisierte die FPÖ vor allem "den undurchsichtigen Impfstoffbeschaffungsdeal". Auch vor der Einführung des digitalen Euro warnte Steiner: Wenn Bürger:innen nur noch eine Plastikkarte zum Bezahlen hätten, könnte leicht durchgesetzt werden, dass sie dann nur noch einmal in der Woche tanken oder ins Wirtshaus gehen dürfen.

Unterstrichen wurde die Kritik Steiners an der EU und den anderen Parteien von seinen Fraktionskolleg:innen Isabella Theuermann, Marlies Doppler, Michael Bernard, Markus Leinfellner und Andreas Arthur Spanring, wobei unter anderem Worte wie "Klimairrsinn" und "Kriegstreiberei" fielen. Die EU-Wahl biete die Möglichkeit, einen Denkzettel zu verpassen, sagte Theuermann.

Plakolm: EU sorgt für Wohlstand in Österreich

Staatssekretärin Claudia Plakolm hielt der FPÖ entgegen, dass die EU für den Wohlstand in Österreich und für den Wirtschaftsstandort maßgeblich sei. Österreich sei lange am Rand Europas gelegen, sie sei froh, dass die Teilung des Kontinents überwunden sei. Der Beitritt Österreichs zur EU habe viele Vorteile gebracht, wobei Plakolm etwa auf die "stabile" Wirtschafts- und Währungsunion, die hohe Exportquote und die Möglichkeit, sich innerhalb Europas frei zu bewegen, verwies. Die EU sei nicht perfekt, räumte Plakolm ein. Anstelle die EU zu zerstören, wie die FPÖ das wolle, sei es aber sinnvoller, an Europa zu arbeiten und Europa besser zu machen. In diesem Sinn rief sie die Bevölkerung auch zur Teilnahme an der EU-Wahl auf.

In Beantwortung der einzelnen Fragen verwies Plakolm unter anderem auf verschiedene Maßnahmen, die Österreich zum Schutz der nationalen Grenzen und zur Verhinderung illegaler Migration gesetzt habe. Diese Maßnahmen seien wirksam, wie der deutliche Rückgang von Aufgriffen in den Grenzgebieten zeige, betonte sie. Die Schlepper würden mittlerweile einen Bogen um Österreich machen. Es sei auch gelungen, Asylverfahren zu beschleunigen.

Die Teilnahme Österreichs am Luftabwehrsystem Sky Shield wertete Plakolm als notwendigen Schritt, um den österreichischen Luftraum und damit auch die Neutralität zu schützen. Neutral zu sein, bedeute nicht, sich "in ein Schneckenhaus zurückzuziehen", betonte sie. Auch heiße militärisch neutral zu sein, nicht, wertneutral zu sein. Die Unterstützung der Ukraine einzustellen, wäre Plakolm zufolge nicht im Sinne Österreichs und der Europäischen Union. Die Unterstützungsleistungen Österreichs an die Ukraine bezifferte sie mit 1,5 Mrd. € bis Ende 2023.

"Verbrennerverbot überdenken"

Was die Zukunft der EU betrifft, trete Österreich dafür ein, dass sich die Union auf die großen Herausforderungen konzentriere, sagte Plakolm. Auch brauche es weniger Bürokratie für Unternehmen durch eine Reduzierung von Berichtspflichten. Europa müsse zudem auf Innovationskraft der Wirtschaft und auf Technologieoffenheit setzen.

Ausdrücklich sprach sich Plakolm in diesem Zusammenhang dafür aus, das "Verbrennerverbot" zu überdenken. Reine E-Mobilität könnte in eine Sackgasse führen, warnte sie. Es sei notwendig, über den Tellerrand zu schauen und auf die Weiterentwicklung von Wasserstoff und E-Fuel zu setzen. Österreich sei ein Autoland, das Auto werde weiterhin primäres Fortbewegungsmittel in ländlichen Regionen sein, bekräftigte Plakolm. Im Zusammenhang mit dem Green Deal verwies sie auf das von der Regierung geschnürte Unterstützungspaket für die Landwirtschaft.

Kaltenegger und Schennach: "Wir brauchen keine Festung Europa"

Für alternativlos hält auch die steirische ÖVP-Bundesrätin Isabella Kaltenegger die EU. Die Europäische Union habe aus einem Kontinent des Krieges einen Kontinent des Friedens gemacht, betonte sie und verwies in diesem Zusammenhang auf die entsprechende Würdigung durch das Nobelpreiskomitee.

In Richtung FPÖ meinte Kaltenegger, diese könne doch nicht wirklich glauben, dass Österreich ohne die EU sicherer wäre. In einer Festung sei man nie gut aufgehoben, hob sie hervor. Früher habe man Pech von Festungsmauern gegossen und sei in der Festung verhungert. Auch würde eine Festung nicht gegen neue Bedrohungen wie Drohnen schützen. Kaltenegger verwies zudem auf die Sicherung von Arbeitsplätzen durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs, schließlich hänge jeder zweite österreichische Job von Exporten ab.

Im Gegensatz zur FPÖ setze sich die ÖVP dafür ein, die EU "mit beinharter Knochenarbeit" besser zu machen, sagte Kaltenegger. Es könne keine Lösung sein, ein Haus, das entrümpelt gehöre, "einfach mit dem Caterpillar wegzuschieben". Auch ihre Vorarlberger Fraktionskollegin Christine Schwarz-Fuchs verwies auf vielfältige Vorteile der EU, etwa was die Sicherheit betrifft.

"Eine Festung Europa brauchen wir nicht", betonte auch Stefan Schennach (SPÖ/W). Er kann außerdem mit Begriffen wie "EU-Wahnsinn" oder "Bürokratiemonster" nichts anfangen. Die EU habe eine sehr schlanke Verwaltung und passe extrem darauf auf, wie das zur Verfügung stehende Geld verwendet werde, sagte er. Besonders stieß sich Schennach am in der Dringlichen Anfrage verwendeten Begriff "Remigration", der ihm zufolge dem Begriff Deportation gleichkommt.

Zur Forderung der FPÖ nach einer Halbierung des EU-Parlaments merkte Schennach an, die SPÖ sei dafür, die Demokratie zu stärken. Wenn man ein Parlament verkleinere, verkleinere man auch die Demokratie, gab er zu bedenken. Viele Regionen und Gebiete hätten dann keinen Abgeordneten bzw. keine Abgeordnete mehr in Brüssel. Im Gegensatz zur FPÖ hält Schennach außerdem den "Green Deal" für eine "großartige Schöpfung", nun gelte es, daran weiterzuarbeiten.

SPÖ und FPÖ mahnen klares Bekenntnis zur Neutralität ein

Kritik übte Schennach daran, dass ein gemeinsames Schreiben Österreichs und dreier weiterer Länder an die NATO, mit dem Angebot, die Beziehungen zur NATO zu erweitern und zu vertiefen, bis heute nicht dem Parlament vorgelegt wurde. Das schüre Misstrauen, meinte er und brachte in diesem Sinn einen Entschließungsantrag ein, um von Seiten der Regierung ein klares Bekenntnis zur Neutralität Österreichs und zur Ablehnung eines NATO-Beitritts einzufordern. Eine ähnliche Initiative legte später auch FPÖ-Bundesrat Andreas Arthur Spanring vor. Irritiert äußerte sich Schennach außerdem darüber, dass Verteidigungsministerin Klaudia Tanner den Beitritt zum Luftabwehrsystem Sky Shield ohne vorheriger Behandlung im Parlament unterzeichnet habe.

Schennachs steirische Parteikollegin Elisabeth Grossmann äußerte die Vermutung, dass die FPÖ deshalb eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik ablehnt, weil ihr daran gelegen sei, dass möglichst viele Flüchtlinge nach Österreich kommen. Schließlich nutze die FPÖ diese Menschen als "Wahlkampfmunition".

Jagl: FPÖ negiert Fakten

Auch Simone Jagl (Grüne/NÖ) ging mit der FPÖ hart ins Gericht. So warf sie Bundesrat Steiner und seinen Fraktionskolleg:innen vor, in Zusammenhang mit dem Klimawandel Fakten zu negieren, "die seit vierzig Jahren auf dem Tisch liegen". Unternehme man nichts gegen die Klimaerwärmung, werde die Migration aufgrund immer mehr unbewohnbarer Gebiet weiter steigen, warnte sie. Zudem kostet Klimaschutz ihrer Meinung nach deutlich weniger Geld als die Folgen des Klimawandels.

Für Jagl ist die FPÖ außerdem eine "Anti-Europa-Partei". Deren Wahlplakate seien "in ihrer Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten", sagte sie. Gehe es nach der FPÖ, gebe es keine Reisefreiheit mehr, könnten Studierende nicht mehr einfach in einem anderen EU-Land studieren, gebe es keinen Datenschutz gegenüber internationalen Konzernen und würde man nach wie vor horrende Handygebühren im EU-Ausland zahlen. Eine Halbierung des EU-Parlaments hätte überdies eine massive Schwächung von kleinen EU-Staaten zur Folge, gab Jagl zu bedenken. Die FPÖ will ihrer Ansicht nach auch keine Friedenspolitik und sei "überhaupt nicht daran interessiert", dass sich die Ukraine gegen die russischen Angriffe erfolgreich verteidige.

Arlamovsky wirbt für Vereinigte Staaten von Europa

NEOS-Abgeordneter Karl-Arthur Arlamovsky nutzte seine Wortmeldung dazu, um mehr als ein Dutzend Vorteile aufzuzählen, die seiner Einschätzung nach "die Vereinigten Staaten von Europa" bringen würden. Konkret nannte er etwa "ein echtes Ende der Grenzkontrollen" zwischen den EU-Mitgliedstaaten, eine verstärkte Arbeitsmobilität durch die unbürokratische Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen, mehr Transparenz und Verantwortung durch eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten bzw. der EU-Kommissionspräsidentin und schnellere Entscheidungen, da die "Veto-Keule" von nationalen Politiker:innen abgeschafft wäre. Auch eine geringere Abhängigkeit von den USA in Sicherheitsfragen, billigere Energie durch einen grenzüberschreitenden Energiemarkt und eine niedrigere Inflation erwartet er sich von einer vertieften Integration.

Solchen "Vereinigten Staaten von Europa" erteilte der niederösterreichische ÖVP-Bundesrat Matthias Zauner allerdings eine Absage. Der FPÖ warf Zauner vor, die Demokratie abzulehnen.

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